Glück im Gewöhnlichen
Wahrscheinlich streben die meisten Menschen danach glücklich zu sein. Die Werbung zeigt uns jeden Tag glückliche Gesichter: glückliche Familien, glückliche Pärchen, glückliche Menschen wo man nur hinsieht. Die gleichen Impressionen sind auf intensiv genutzten Social Media Kanälen wie Instagram, Facebook & Co. zu sehen. Jede*r zeigt seine glücklichsten Momente: schöne Reisen, tolle Erlebnisse, Erfolge, durchtrainierte Körper und modisch top gekleidete Männer und Frauen. Es entsteht das Gefühl, dass wir in einer Welt voller Fülle, glücklicher Menschen und Überfluss leben und doch erkrankt weltweit etwa jeder fünfte Mensch in seinem Leben an einer Depression. Deutschland hingegen hat die zweithöchste Prävalenz im europäischen Vergleich.
Die Suche nach dem Glück
Jene Bilder, die wir sehen, vermitteln vielleicht das Gefühl, dass wir etwas Großartiges erreichen müssen, um glücklich zu sein. Dass bestimmte, materielle Dinge benötigt werden. Dass es erforderlich ist, stets leichtfüßig, voller Freude und zu jederzeit erfolgreich durchs Leben zu gehen. Der*die Partner*in muss perfekt sein, die Wohnung oder das Haus aussehen, als ob Tine Wittler gerade eben noch mit ihrem 20-köpfigen Team die Umgestaltung beendet hätte, mindestens einmal im Jahr sollten wir Übersee reisen, um die Besonderheiten des eigenen Lebens mit der Welt teilen zu können.
Das Streben nach dem perfekten Leben und dem großen Glück führt letztlich dazu, dass wir uns immer wieder vergleichen mit diesem Narrativ in unserem Kopf. Dem Idealbild des Lebens, wie es sein sollte. In den seltensten Fällen lässt sich dieses Ideal erreichen - und selbst wenn, entsteht kein Gefühl der langfristigen Befriedigung, da bereits das nächste, höher gesteckte Ziel auf uns wartet - und so besteht fortwährend eine Diskrepanz zwischen Soll- und Ist-Zustand. Diese lässt uns immer schneller laufen, wie der Hamster im Rad. Er läuft und läuft und bewegt sich doch keinen Zentimeter weiter. Die Suche nach dem Glück, das ist die Suche nach dem Besonderen, Außergewöhnlichen. DEM perfekten Job, DEM perfekten Gehalt, DEM*DER perfekten Partner*in, DEM perfekten Haus oder der schicken Stadtwohnung mit Südbalkon. Und wenn das erst gefunden wurde, ja dann sind wir endlich glücklich.
Glückssuche und Depression
Nicht jede*r, der*die versucht ein übersteigertes Ideal zu erreichen, erkrankt an einer Depression, jedoch kann das fortwährende Streben nach dem perfekten Leben wiederkehrende depressive Episoden begünstigen. Letztlich resultiert dies in vielen Fällen aus einem Mangel an Selbstwert, der in früheren Jahren erworben wurde, der dazu führt, dass immer wieder vermeintlich erstrebenswerte Zielzustände erreicht werden wollen. Im Geist entsteht die Erzählung, dass die alten Wunden und der niedrige Selbstwert geheilt werden können, wenn das Ideal erst Wirklichkeit wird. Es klafft eine große Lücke zwischen Realität und Vorstellung. Hinzu gesellt sich vielleicht ein Gefühl der fehlenden Selbstwirksamkeit, der Ohnmacht. Kritische Gedanken dem eigenen Selbst und Leben gegenüber und das ständige Bestreben und die Bemühungen nun endlich am gewünschten Ziel anzukommen. All das kann über kurz oder lang zur Erschöpfung führen und so letztlich auch eine Depression auslösen, insofern eine entsprechende Veranlagung dies begünstigt.
Ziele zu erreichen macht nicht nachhaltig glücklich
Sich große Ziele zu stecken ist etwas Wunderbares, sorgt für Bewegung im eigenen Leben und trägt in manchen Fällen zudem zur Entwicklung der Gesellschaft bei. Die Überzeugung, dass die Erreichung dieses Ziels langfristig glücklich macht, wird jedoch in den allermeisten Fällen keine Bestätigung finden.
Der Ironman wurde gemeistert, das Traumhaus gekauft, die Prüfung nach Monaten oder gar Jahren des Lernens bestanden, die Weltreise verwirklicht, der Mount Everest bestiegen, der Traummann oder die Traumfrau gefunden. Die möglichen Ziele sind mannigfaltig. Im ersten Moment oder in der ersten Zeit kommt ein Hochgefühl auf, Stolz und Freude lösen Glücksgefühle aus, doch nach einiger Zeit stellt sich das Lebensgefühl wieder ein, das bereits vor dem Ereignis dominant war.
Warum ist das so?
Die Aufopferung für das Erreichen des Ziels war größer als der tatsächliche Nutzen. Beispielsweise wurde Spontaneität eingebüßt durch das Einhalten straffer Trainingspläne, Treffen mit Freunden abgesagt, ein Stück vom sozialen Leben aufgegeben, um das gewünschte Ziel zu erreichen. Erwartungen, die mit der Erreichung des Ziels zusammenhängen, werden nicht erfüllt. So zum Beispiel die Erwartung an das Lebensgefühl, das mit dem Eintreten des Ereignisses einhergehen soll. Jeder Mensch hat einen individuellen Setpoint - das ist ein bestimmter Wohlfühl Pegel, den wir im Kindesalter etablieren und im Laufe unseres Lebens weitestgehend konstant bleibt. Streben wir an unser Lebensglück nur durch das Erreichen von Zielen, gewissen Aktivitäten, Genuss- und Glücksmomenten zu steigern, fallen wir in den meisten Fällen nach einer gewissen Weile immer wieder auf unseren individuellen Wohlfühl-Setpoint zurück.
Glücklich sein ist kein Ziel, das erreicht werden kann, sondern eine innere Haltung dem Leben gegenüber. Natürlich können äußere Umstände dazu beitragen, dass wir uns in einem Moment glücklicher fühlen. Wenn wir diese selbst und bewusst gestalten, ein Gefühl der Dankbarkeit dafür entwickeln und unseren Blick immer wieder auf das lenken, das uns bereits umgibt und in uns steckt, dann kann das Wohlgefühl nachhaltiger werden. Erfolg macht nicht glücklich - aber glücklichsein führt zum Erfolg!
Das Glück im Gewöhnlichen
Es bedarf nicht der Erreichung außergewöhnlicher Ziele. Du musst nicht außergewöhnlich sein oder Außergewöhnliches leisten, um glücklich zu sein. Deine Erwartungen zu verringern, bescheiden und demütig zu sein, Dankbarkeit für das zu empfinden, was bereits in Deinem Leben ist - all das ist Nährboden für wahres Glück. Das unaufgeregte sich selbst nicht so wichtig nehmen, nicht aus der Masse mit besonderer Leistung herausstechen zu wollen ist unglaublich entspannend, nimmt Druck raus und lässt Dich genießen, was ist. Plötzlich ist es nicht mehr wichtig immer höher, schneller, weiter zu kommen, Dir und anderen etwas zu beweisen, ein Idealbild Deines Lebens zu erreichen. Dann ist einfach alles schon da und das ist paradoxerweise die beste Ausgangsposition für Weiterentwicklung und Glück.
Der Einfluss der Umwelt
Natürlich sei erwähnt, dass es limitierende sozio-ökonomische Faktoren gibt, die das Leben der Menschen beeinflussen und dazu führen können, dass die Lebensumstände nicht optimal sind. Hier mag es vermessen klingen, zu sagen, dass man dankbar und glücklich sein kann für das und mit dem was ist. Aber auch Menschen, die in schwierigen, äußeren Umständen leben, können zufrieden sein und Glück empfinden. Auf der anderen Seite gibt es nicht wenige reiche, extrem erfolgreiche Menschen, die sehr unglücklich sind.
Die Glücksforschung fand heraus, dass äußere Umstände im Mittel nur zu 10% das eigene Glücksempfinden beeinflussen. Zu einem Großteil ist es möglich, mit Verhaltens- und Denkweisen das eigene Glück mitzugestalten und auch in suboptimalen Kontexten ein zufriedenes Leben zu führen.
Das Glück in Dir
“Glücklich ist, wer sich glücklich fühlt.” Dieser profan anmutende Satz von Dominik Dallwitz-Wegner bringt das Thema Glückssuche auf den Punkt: letztlich ist (fast) egal, was im Außen passiert, es hat wenig Einfluss darauf, ob wir glücklich sind. Glück zu empfinden und kleine Glücksmomente entstehen zu lassen beginnt durch veränderte Denk- und Handlungsmuster, durch Verhaltensweisen und Gewohnheiten. Das Glück liegt bei Dir: Selbstfürsorge, radikale Selbstannahme, Akzeptanz dessen was ist, Mitgefühl für Dich und andere, ein Gefühl der Verbundenheit und Dankbarkeit, Tatendrang und eine wohlwollende Sicht auf das Leben formen Dein persönliches Glück. Das Glück liegt im Gewöhnlichen und um das zu erleben, benötigst Du noch nicht einmal Geld.
Ein Artikel von Lisa Staudt / August 2022/ Ganz einfach glücklich.